Imperial Ecologies

Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Invalidenstraße 50-51, 10557 Berlin

Englisch, mit Simultanübersetzung ins Deutsche

Videos zur Konferenz sind hier verfügbar.
Der Livestream wurde von der Berliner Hochschule für Technik (BHT) konzipiert und realisiert.

1991 wurde ein vom damaligen Chefökonomen der Weltbank Larry Summers unterzeichnetes Memo an die Presse weitergeleitet. Es besagte, dass Giftmüllexporte in Länder der sogenannten Dritten Welt in wirtschaftlicher Hinsicht vernünftig seien.

Obwohl allgemein anerkannt ist, dass die imperiale Expansion Europas seit dem 15. Jahrhundert erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt gehabt und die Ökosysteme der Erde grundlegend verändert hat, ist der Begriff des Imperialismus aus dem politischen Vokabular verschwunden und kommt in aktuellen Diskursen kaum noch vor. Die Fabriken des Viktorianischen England sind in der Erdatmosphäre immer noch am Werk, wie Lorraine Daston anmerkt, doch wir neigen dazu, die anhaltenden Wechselwirkungen zwischen Industrialisierung und Imperialismus auszublenden. Der Grund dafür ist, dass der heutige Imperialismus weniger auf Militarismus und Krieg setzt als auf das Zusammenwirken von souveräner Macht und monopolistischem Handel, wodurch der Zwang an die Finanzmärkte ausgelagert wird. Vor dem Hintergrund der schlimmsten Umweltkrise in der Geschichte der Menschheit postuliert diese Konferenz, dass es nicht veraltet oder überholt ist, heute von Imperialismus zu sprechen, sondern dringlich und zeitgemäß. Um den aktuellen Klimanotstand zu verstehen, beleuchtet sie die Korrelation zwischen dem Entstehen der westlichen Welt und der Zerstörung zahlloser Lebenswelten. Sie untersucht die durch siedelnde Gesellschaften entstehenden Umweltbelastungen sowie die Verflechtung von Monopolhandel und Raubbau – von der Zerstörung der Muskatnussbäume durch die Niederländische Ostindien-Kompanie bis hin zur anhaltenden Expansion von Monokulturen, die die biologische Vielfalt der Tropenwälder bedrohen.

Diese Konferenz befasst sich zudem mit Sprache und dem Beharren auf Abstraktion als Teil eines rhetorischen Repertoires, das darauf abzielt, den Imperialismus unsichtbar zu machen. Darüber hinaus blickt sie auf die Hinterlassenschaften von Imperien, die unterhalb der Schwelle des Bewusstseins wirken, in dem, was man das „koloniale Unbewusste“ nennen könnte.

 

Kuratiert von: Kader Attia

Diese Konferenz ist Teil des Diskursprogramms der 12. Berlin Biennale. Ausgehend von der Restitutionsdebatte untersucht es, wie Kolonialismus und Imperialismus in der Gegenwart fortwirken.

Imperial Ecologies

Tag 1

Mittwoch, 22.6.2022

18 Uhr

Begrüßung

18:30–19 Uhr

Keynote: The Double Toxicity of Imperialism: Perspectives from the French Overseas Territories

[Die doppelte Toxizität des Imperialismus aus der Perspektive der französischen Überseegebiete]

Mit

Malcom Ferdinand

In seinem Vortrag fordert Malcom Ferdinand die Überwindung des „doppelten Bruchs der Moderne“, denn die Trennung von Umwelt- und Kolonialgeschichte verstärkt den ohnehin großen Einfluss des Imperialismus auf die Entwicklung der modernen Welt. Deutlich macht er dies anhand einzelner Beispiele des französischen Imperialismus wie den Bananenplantagen auf Martinique und Guadeloupe, den Kernwaffentests in Polynesien und dem Mineralbergbau in Französisch-Guayana. Ausgehend von diesen Beispielen untersucht Ferdinand gegenwärtige soziopolitische und ökologische Bewegungen. Ihren Kampf gegen den nach wie vor von kolonialen Mustern geprägten Umgang mit der Erde betrachtet Ferdinand als richtungsweisend für eine künftige gemeinsame Welt.

 

19–20 Uhr

Künstler:innengespräch: Unveiling Extractivism through Artistic Practices

[Extraktivismus durch künstlerische Praktiken entlarven]

Mit

Imani Jacqueline Brown

Sammy Baloji

Moderation

Malcom Ferdinand

Ausgehend von ihrer jeweiligen geografischen Herkunft und beruflichen Praxis befassen sich Imani Jacqueline Brown und Sammy Baloji mit den konkreten Gegebenheiten der Rohstoffwirtschaft und erkunden Möglichkeiten der Dekolonisierung. Baloji hat sich in den vergangenen Jahren eingehend mit der Geopolitik des Bodens im Kongobecken auseinandergesetzt. Dabei ist er den Wurzeln historischen Unrechts auf den Grund gegangen sowie den Kontinuitätslinien zwischen der Extraktion von Rohstoffen wie Kautschuk, Kupfer, Uran, Koltan und Lithium und der Verelendung der Bevölkerung im Kongo gefolgt. Brown plädiert in ihrem Manifest Black Ecologies für „die Öffnung eines Wurmlochs zu einer anderen Ökologie“ und für die Anerkennung des Schwarzseins als entscheidende Voraussetzung für die Wiederherstellung des Ökosystems der Erde. Im Gespräch mit Malcom Ferdinand diskutieren sie das Schaffen neuer Ökologien und deren Bedeutung für die Dekolonisierung der Welt.

 

Imperial Ecologies

Tag 2

Donnerstag, 23.6.2022

 

14–15 Uhr

Gespräch: Nation Building and Unbuilding
[Bildung und Zerfall von Nationen]

Mit

Layth Kareem

Rijin Sahakian

The City Limits entstand 2014 in Bagdad in gemeinsamer Arbeit mit Freund:innen und Familie. Das Video thematisiert die seelischen und körperlichen Erfahrungen angesichts der kontrollierten und unkontrollierten Gewalt, die für einen Großteil der Einwohner:innen des Irak und Bagdads mit der Invasion und anschließenden Besatzung des Landes unter Führung der USA zur Lebensrealität wurde. Layth Kareem verbindet Choreografie, Technologie sowie dokumentarische Formen und erschafft mit seiner Videoarbeit einen Ort der Begegnung: einen Ort, an dem Traumata artikuliert werden können, einen Ort des Widerstands gegen die Besatzung, einen Ort der Liebe und des Austauschs zwischen den Generationen. Mit Rijin Sahakian spricht Kareem über die Hintergründe und die Entstehung des Werks.

15–15:15 Uhr

Pause

 

15:15–17 Uhr

Panel: Weaponized Environments

[Umwelt als Waffe]

Mit

Samaneh Moafi

Susan Schuppli

Moderation

Doreen Mende

Im Laufe von über zehn Jahren hat Forensic Architecture – eine Rechercheagentur am Goldsmiths College der University of London mit Büros in Berlin, Ramallah, Bogotá und an weiteren Standorten – mithilfe der „counter-forensischen“ Technologie sowie von künstlerischen Praktiken und Raumpolitiken bahnbrechende Konzepte und Forschungsmethoden entwickelt, um in Zusammenarbeit mit Communitys bisweilen unsichtbare Formen von Gewalt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu untersuchen. Im Gespräch mit Doreen Mende erörtern Eyal Weizman, Samaneh Moafi und Susan Schuppli den Einsatz der Umwelt als Waffe gegen vulnerable Gruppen und beleuchten den multiperspektivischen, fallbasierten Ansatz der „investigativen Ästhetik“ (Eyal Weizman/Matthew Fuller) und der „materiellen Zeug:innenschaft“ (Susan Schuppli) von Forensic Architecture. Der Fokus des Gesprächs liegt auf Umweltrassismus, Landenteignung und Geografie als materiell-epistemischen Infrastrukturen.

17–17:15 Uhr

Vortrag: Eyal Weizman

Mit

Eyal Weizman

17:15–17:45 Uhr

Pause

17:45–19:15 Uhr

Panel: Hence, We Dream. Dreams in Capitalist Societies

[Daher träumen wir. Träume in kapitalistischen Gesellschaften]

Mit

Etinosa Yvonne

Joseph Tonda

Stefania Pandolfo

Moderation

Kader Attia

Wessen Traum träumen wir? Wessen Vorstellungen verkörpern wir? Wie können wir uns mit den Hinterlassenschaften von Kolonialismus und Imperialismus auseinandersetzen, wenn sie unterhalb der Bewusstseinsschwelle wirken? An der Schnittstelle von Politikwissenschaft, Psychologie, Psychoanalyse, Anthropologie und Fotografie sprechen die Künstlerin Etinosa Yvonne, der Soziologe Joseph Tonda und die Anthropologin Stefania Pandolfo über den anhaltenden Einfluss des Kolonialen auf das Imaginäre sowie auf das materielle und immaterielle Dasein von Subjekten der Gegenwart. Darüber hinaus diskutieren sie mögliche Strategien der Dekolonisierung und der Wiedergewinnung von Autonomie. Unsere Welt können wir erst dann gestalten, wenn wir die Fähigkeit wiedererlangen, unsere Träume von ihr in Denken zu verwandeln. Doch ihre Souveränität wird geschwächt durch die Unmöglichkeit zu träume – einst infolge des Kolonialismus, heute infolge der automatisierten Performativität, die die Computersysteme des 24/7-Kapitalismus generieren.

19:15–19:30 Uhr

Pause

19:30–20:15 Uhr

Keynote: Naming the Crime of Colonialism. The German Example

[Das Verbrechen des Kolonialismus beim Namen nennen: Das deutsche Beispiel]

Mit

Jürgen Zimmerer

Q&A

Ana Teixeira Pinto

Während zur Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Dritten Reichs ein präzises und unmissverständliches Vokabular entwickelt wurde, wird die Debatte über den Kolonialismus noch immer von Euphemismen beherrscht. Begriffe wie „zivilisatorische Mission“, „Entwicklung“ oder das Wort „Aufstand“ in Bezug auf den antikolonialen Widerstand werden oft verwendet, wo Bezeichnungen wie Rassismus, Versklavung, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit angemessen wären. Der Vortrag behandelt die Folgen solcher Euphemismen und Plattitüden.