Keynote im Rahmen der Konferenz From Restitution to Repair am 10. September 2022 in der Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin.
Seit 2017 scheint in Europa (zumindest in vielen Ländern) alles oder fast alles über die materielle und ideelle Restitution von Kulturgütern gesagt worden zu sein, die im 19. und 20. Jahrhundert aus kolonialen Kontexten nach Europa verbracht wurden. Die materielle und rechtliche Rückgabe der 1892 von der französischen Armee beschlagnahmten und seitdem in Paris ausgestellten königlichen Schätze von Abomey – 2,5 Tonnen Erinnerungsgeschichte – an die Republik Benin im Jahr 2021 markierte den Beginn einer neuen geopolitischen Zeit im Umgang mit dem afrikanischen Erbe. Bis heute haben mehr als 200 000 Menschen die Ausstellung Benin Art from Yesterday to Today, from Restitution to Revelation [Kunst in Benin gestern und heute. Von der Restitution bis zur Offenbarung] in Cotonou besucht. Es ist mit dieser spektakulären Restitution deutlich geworden, dass die reale, materielle Rückkehr von symbolisch und historisch bedeutenden Kulturgütern jene „tektonischen Verschiebungen“ auslösen kann, die Felwine Sarr und ich 2018 im so genannten Sarr-Savoy-Bericht beschrieben haben. Solche kulturellen Restitutionen sind nicht nur eine Angelegenheit für Museen und Kulturbehörden. Sie wirken sich auch auf die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Sphäre aus. Nun fragen sich einige: Wenn alles über Restitutionen gesagt wurde, manche afrikanische Länder ihren Kampf bereits gewonnen und damit den geopolitischen Weg für kulturelle Justiz geöffnet haben, warum wird das Thema dann immer noch aufgegriffen? Ist es nicht irgendwie bevormundend und repräsentiert es nicht lediglich das Anliegen einer kleinen politischen Elite sowohl in Afrika als auch in Europa? Und was ist mit der offensichtlichen politischen Instrumentalisierung des Themas? Über diese Fragen soll es im Vortrag gehen.