Ausstellung

Still Present!

Künstler:innen aus verschiedenen Teilen der Welt beschäftigen sich anlässlich der 12. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst unter dem Titel Still Present! mit den Hinterlassenschaften der Moderne und dem daraus resultierenden planetaren Notstand. Neben den künstlerischen Arbeiten sind in der Ausstellung historische Dokumente zu sehen, darunter politische und aktivistische Publikationen aus dem Archiv der Avantgarden – Egidio Marzona (AdA). Die Beiträge machen Verbindungslinien zwischen Kolonialismus, Faschismus und Imperialismus sichtbar und erproben dekoloniale Strategien für die Zukunft entlang einer Reihe von Fragen: Wie lässt sich eine dekoloniale Ökologie gestalten? Welche Rolle können feministische Bewegungen aus dem Globalen Süden bei der Wiederaneignung historischer Narrative spielen? Wie kann die Debatte um Restitution über die Rückgabe geplünderter Objekte hinaus produktiv gemacht werden? Lässt sich durch Kunst das Feld der Emotionen zurückgewinnen?

Auszug aus dem kuratorischen Statement von Kader Attia:

„So vielfältig und unterschiedlich die Kosmen sind, aus denen sich die menschliche Lebenswelt heute zusammensetzt – sie alle existieren inmitten der Verschwendung und Zerrissenheit, die den rasenden und zerstörerischen Produktionswettlauf des globalen Kapitalismus bestimmen. Während der Moderne hat unser Planet dicht aufeinanderfolgende, ruinöse Veränderungen durchlebt, die sich mit dem Beginn des dritten Jahrtausends noch in alarmierender Weise beschleunigt haben. Wir sind nicht zufällig an dem Ort angekommen, an dem wir uns heute befinden: Er ist aus über Jahrhunderte hinweg aufgebauten historischen Formationen hervorgegangen. In ihrem Egoismus haben die modernen westlichen Gesellschaften ihren eigenen liberalen Charakter als selbstverständlich vorausgesetzt und fälschlicherweise angenommen, dass das Gleichgewicht zwischen freiem Handel und allgemeinem Wahlrecht ein sich selbst regulierendes System mit universellen demokratischen Werten garantiert. Von diesem utopischen Versprechen haben wir eine dystopische Gesellschaft geerbt, die jede Verantwortung für das Chaos leugnet, das sie produziert. Die Welt ist von den Wunden gezeichnet, die im Laufe der Geschichte der westlichen Moderne entstanden sind. Werden sie nicht repariert, suchen sie unsere Gesellschaften weiterhin heim.

Wir müssen uns die Folgen der kapitalistischen Logik jener Einheit von Moderne/Kolonialität und ihrer Fähigkeit zur Entpolitisierung des Subjekts bewusst machen. Die sozialen Welten, die wir heute bewohnen, sind von miteinander vernetzten Umgebungen geprägt, deren Interaktionen untereinander nicht offen sichtbar sind. Mehr als je zuvor hat auch die algorithmische Governance unsere Gegenwart in Beschlag genommen; sie ist zu einem Feld beispielloser wirtschaftlicher Kämpfe um die Extraktion von Verhaltensdaten geworden. Diese ist ein so mächtiges Wirtschaftsmodell, dass es unmöglich erscheint, die Gegenwart aus ihren Klauen zu befreien. Wir projizieren unser Handeln täglich auf die Zukunft oder auf die Vergangenheit, und wähnen uns dabei in der Gegenwart. Wie können wir sie zurückerobern? Indem wir zunächst unsere Aufmerksamkeit zurückerobern. Die Zeit der Kunst dehnt sich weit aus. Und vor allem ist ihr Jetzt ein freies. Bewusstsein ist Teil der Gefühlswelt und eine Bewegung in der Gegenwart: Als emotionale und interpretierende Wesen bewegen wir uns unkalkulierbar durch sie. Das ermöglicht es uns, den Technologien kapitalistischer Verhaltensmanipulation und der damit verbundenen imperialistischen Governance zu entkommen. Wir müssen im Hier und Jetzt bleiben, mehr denn je!“