Ausstellung
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Still Present!
Künstler:innen aus verschiedenen Teilen der Welt beschäftigen sich anlässlich der 12. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst unter dem Titel Still Present! mit den Hinterlassenschaften der Moderne und dem daraus resultierenden planetaren Notstand. Neben den künstlerischen Arbeiten sind in der Ausstellung historische Dokumente zu sehen, darunter politische und aktivistische Publikationen aus dem Archiv der Avantgarden – Egidio Marzona (AdA). Die Beiträge machen Verbindungslinien zwischen Kolonialismus, Faschismus und Imperialismus sichtbar und erproben dekoloniale Strategien für die Zukunft entlang einer Reihe von Fragen: Wie lässt sich eine dekoloniale Ökologie gestalten? Welche Rolle können feministische Bewegungen aus dem Globalen Süden bei der Wiederaneignung historischer Narrative spielen? Wie kann die Debatte um Restitution über die Rückgabe geplünderter Objekte hinaus produktiv gemacht werden? Lässt sich durch Kunst das Feld der Emotionen zurückgewinnen?
Thuy-Han Nguyen-Chi, This undreamt of sail is watered by the white wind of the abyss [Dies ungeträumte Segel wird vom weißen Wind des Abgrunds gewässert], 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 11.6.–18.9.2022, Foto: Jens Franke / Art and Architecture Documentation

Deneth Piumakshi Veda Arachchige, Self-Portrait as Restitution – From a Feminist Point of View [Selbstporträt als Restitution – aus feministischer Sicht], 2020, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Ariella Aïsha Azoulay, The Natural History of Rape [Die Naturgeschichte der Vergewaltigung], 2017/22 Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Imani Jacqueline Brown, What remains at the ends of the earth? [Was bleibt am Ende der Welt?], 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Hanseatenweg, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme, Oh Shining Star Testify [Oh heller Stern bezeuge], 2019/22, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 11.6.–18.9.2022, Foto: Laura Fiorio

Nil Yalter, Plakatierungsworkshop im Rahmen von Nil Yalters Kunstwerk Exile Is a Hard Job [Exil ist harte Arbeit], 1983/2022, mit Nagham Hammoush und Rüzgâr Buşki, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Plakatierungsworkshop im Rahmen von Nil Yalters Kunstwerk Exile Is a Hard Job [Exil ist harte Arbeit], 1983/2022, mit Nagham Hammoush und Rüzgâr Buşki, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt, 11.6.–18.9.202, Foto: Silke Briel

Nil Yalter, Plakatierungsworkshop im Rahmen von Nil Yalters Kunstwerk Exile Is a Hard Job [Exil ist harte Arbeit], 1983/2022, mit Nagham Hammoush und Rüzgâr Buşki, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Zach Blas, Profundior (Lachryphagic Transmutation Deus-Motus-Data Network) [Profundior (Lachryphagische Transmutation Deus-Motus-Datennetz)], 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 11.6.–18.9.2022, Foto: Laura Fiorio

Tuấn Andrew Nguyễn, The Specter of Ancestors Becoming [Die Gespenster werden Ahn:innen], 2019, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 11.6.–18.9.2022, Foto: Laura Fiorio

Dubréus Lhérisson, Ohne Titel, um 2015, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Taloi Havini, Beroana (Shell money) IV [Beroana (Muschelgeld) IV], 2016, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Mathieu Pernot, Fotografien aus der Serie Les Gorgan [Die Gorgans], 1995–2015, © Mathieu Pernot / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Von links nach rechts: Karl Schmidt-Rottluff, Schiefblatt und Maske, 1950, Karl Schmidt-Rottluff, Grüne Frau, 1956, © Karl Schmidt-Rottluff / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Kruzifixe, verschiedene Sammlungen, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Vorne: DAAR – Sandi Hilal und Alessandro Petti, Ente di Decolonizzazione (Entity of Decolonization) – Borgo Rizza [Dekolonisierungsstelle – Borgo Rizza], 2022, hinten: Tammy Nguyen, Serie von Malereien, 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Hanseatenweg, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Zuzanna Hertzberg, Jewish Anarchist Women against Hegemony [Jüdische Anarchistinnen gegen die Hegemonie], Performance, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Zuzanna Hertzberg, Jewish Anarchist Women against Hegemony [Jüdische Anarchistinnen gegen die Hegemonie], Performance, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Dokumente aus dem Archiv der Avantgarden – Egidio Marzona (AdA), Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Jeneen Frei Njootli, Thunderstruck [Entgeistert], 2013/22, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Elske Rosenfeld, Speaking (Statements for the Future) [Sprechen (Statements für die Zukunft)], 2019/22 aus der Serie An Archive of Gestures [Archiv der Gesten], 2012–22, © Elske Rosenfeld / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Myriam El Haïk, Performance im Rahmen des Kunstwerks Please Patterns [Muster gefällig], 2022, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Myriam El Haïk, Performance im Rahmen des Kunstwerks Please Patterns [Muster gefällig], 2022, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Mai Nguyễn-Long, aus der Serie Vomit Girl (Berlin Cluster) [Kotzmädchen (Berlin Cluster)], 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

The School of Mutants, All Fragments of the Word Will Come Back Here to Mend Each Other, 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Uriel Orlow, Performance im Rahmen des Kunstwerks Reading Wood (Backwards) [Holz lesen (Rückwärts)], 2022, mit der portugiesischen Performerin Fabíola, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Uriel Orlow, Performance im Rahmen des Kunstwerks Reading Wood (Backwards) [Holz lesen (Rückwärts)], 2022, mit der portugiesischen Performerin Fabíola, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Susan Schuppli, Freezing Deaths & Abandonment across Canada [Kanada: ausgesetzt und erfroren], aus der Serie: Cold Cases [Kalte Fälle], 2021–22, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie, 11.6.–18.9.2022, Foto: Laura Fiorio

Omer Fast, A Place Which Is Ripe [Ein Ort, der reif ist], 2020, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie, 11.6.–18.9.2022, Foto: Laura Fiorio

Zach Blas, aus der Serie Facial Weaponization Suite [Gesichtsbewaffnungssuite], 2012–14, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie, 11.6.–18.9.2022, Foto: Laura Fiorio

Prabhakar Kamble, Werke aus der Serie Utarand [Gestapelte Behälter], 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Đào Châu Hải, Ballad of the East Sea [Die Ballade vom Ostchinesischen Meer], 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Hanseatenweg, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Đào Châu Hải, Ballad of the East Sea [Die Ballade vom Ostchinesischen Meer], 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Hanseatenweg, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Auszug aus dem kuratorischen Statement von Kader Attia:
„So vielfältig und unterschiedlich die Kosmen sind, aus denen sich die menschliche Lebenswelt heute zusammensetzt – sie alle existieren inmitten der Verschwendung und Zerrissenheit, die den rasenden und zerstörerischen Produktionswettlauf des globalen Kapitalismus bestimmen. Während der Moderne hat unser Planet dicht aufeinanderfolgende, ruinöse Veränderungen durchlebt, die sich mit dem Beginn des dritten Jahrtausends noch in alarmierender Weise beschleunigt haben. Wir sind nicht zufällig an dem Ort angekommen, an dem wir uns heute befinden: Er ist aus über Jahrhunderte hinweg aufgebauten historischen Formationen hervorgegangen. In ihrem Egoismus haben die modernen westlichen Gesellschaften ihren eigenen liberalen Charakter als selbstverständlich vorausgesetzt und fälschlicherweise angenommen, dass das Gleichgewicht zwischen freiem Handel und allgemeinem Wahlrecht ein sich selbst regulierendes System mit universellen demokratischen Werten garantiert. Von diesem utopischen Versprechen haben wir eine dystopische Gesellschaft geerbt, die jede Verantwortung für das Chaos leugnet, das sie produziert. Die Welt ist von den Wunden gezeichnet, die im Laufe der Geschichte der westlichen Moderne entstanden sind. Werden sie nicht repariert, suchen sie unsere Gesellschaften weiterhin heim.
Wir müssen uns die Folgen der kapitalistischen Logik jener Einheit von Moderne/Kolonialität und ihrer Fähigkeit zur Entpolitisierung des Subjekts bewusst machen. Die sozialen Welten, die wir heute bewohnen, sind von miteinander vernetzten Umgebungen geprägt, deren Interaktionen untereinander nicht offen sichtbar sind. Mehr als je zuvor hat auch die algorithmische Governance unsere Gegenwart in Beschlag genommen; sie ist zu einem Feld beispielloser wirtschaftlicher Kämpfe um die Extraktion von Verhaltensdaten geworden. Diese ist ein so mächtiges Wirtschaftsmodell, dass es unmöglich erscheint, die Gegenwart aus ihren Klauen zu befreien. Wir projizieren unser Handeln täglich auf die Zukunft oder auf die Vergangenheit, und wähnen uns dabei in der Gegenwart. Wie können wir sie zurückerobern? Indem wir zunächst unsere Aufmerksamkeit zurückerobern. Die Zeit der Kunst dehnt sich weit aus. Und vor allem ist ihr Jetzt ein freies. Bewusstsein ist Teil der Gefühlswelt und eine Bewegung in der Gegenwart: Als emotionale und interpretierende Wesen bewegen wir uns unkalkulierbar durch sie. Das ermöglicht es uns, den Technologien kapitalistischer Verhaltensmanipulation und der damit verbundenen imperialistischen Governance zu entkommen. Wir müssen im Hier und Jetzt bleiben, mehr denn je!“