Uriel Orlow lebt und arbeitet in Lissabon, PT, London, UK, und Zürich, CH

 

Laut Jason Moore liegen die Anfänge der modernen kapitalistischen Wirtschaft mit ihren Boom-Bust-Zyklen auf der Insel Madeira (von portugiesisch „madeira“ für Holz). Im frühen 15. Jahrhundert begannen portugiesische Siedler:innen, die Wälder der Insel abzuholzen, bis die Bestände durch immer intensivere Rodungen erschöpft waren. Als die Holzproduktion infolgedessen dem Anbau von Zuckerrohr wich, wurden zur Arbeit auf den Plantagen der Insel versklavte Afrikaner:innen eingesetzt. Doch als Madeira das Holz ausging, sank auch die Arbeitsproduktivität. Nach ihrem Höhepunkt im Jahr 1506 fiel die Zuckerproduktion 1525 unerwartet rasch ab. Uriel Orlows Projekt Reading Wood (Backwards) [Holz lesen (rückwärts), 2022] ergründet das historische Kontinuum, das die koloniale Expansion mit den neokolonialen Praktiken der gegenwärtigen Holzindustrie verbindet, sowie die Auswirkungen von Bioprospektionen, botanischen Expeditionen und der Entnahme von Pflanzenproben. Ausgehend vom Konzept der Holzbibliothek beziehungsweise Xylothek befasst sich der Künstler mit der Xiloteca des Palácio da Calheta im Jardim Botânico Tropical (ehemals Jardim Colonial) in Lissabon, und fragt sich, was passiert, wenn der zur Bibliothek gewordene Wald westlichen Wissenssystemen und Extraktionsökonomien dienstbar wird.

1

Uriel Orlow, Reading Wood (Backwards) [Holz lesen (rückwärts)], 2022, © Uriel Orlow / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Noch bis Mitte der 1970er-Jahre, lange nachdem alle anderen europäischen Staaten ihre Kolonien aufgegeben hatten, fanden unter der Leitung der Xiloteca botanische Expeditionen in die afrikanischen Kolonien Portugals statt. Angesichts der tödlichen Folgen der Umweltzerstörung, die oft schleichend und kaum wahrnehmbar erfolgt, befasst sich Orlow mit den Verstrickungen menschlicher und nichtmenschlicher Akteur:innen, um das Archiv gegen den Strich zu lesen und zu ergründen, was es bedeutet, die natürliche Welt wiederherzustellen.

Ana Teixeira Pinto

2

Uriel Orlow, Reading Wood (Backwards) [Holz lesen (rückwärts)], 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info © Uriel Orlow / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Ausstellungen

Take Care: Art and Medicine, 2022, Kunsthaus Zürich, Zürich (CH)

Icone Vegetali. Art And Botanics in the 21st century, 2022, Museo Villa dei Cedri, Bellinzona (CH)

Learning From Artemisia, 2020, La Loge, Brüssel (BE) und State of Concept Athens, Athen (GR) (solo)

Uriel Orlow, 2019, Tabakalera – International Centre of Contemporary Culture, Donostia-San Sebastián (ES)

Uriel Orlow – Conversing with Leaves, 2019, Kunsthalle Mainz, Mainz (DE) (solo)

The Fairest Heritage, 2019, Villa Romana, Florenz (IT) (solo)