Sven Johne lebt und arbeitet in Berlin, DE

 

Sven Johne sucht nach den Fußnoten der Weltgeschichte – nach Orten und Menschen, die nicht im Fokus der großen Erzählungen stehen, aber deren Spuren und Handlungen im Kontext politischer Ideen zu lesen sind. Angestoßen von Gehörtem oder Gelesenem, reist er wie ein Lokalreporter in Regionen oder zu Menschen, um das Erlebte später in „fiktionalen Realitäten“ zu verdichten, wie Johne sie nennt: in quasi-dokumentarischen Fotografien und Videos, verbunden mit Texten, die behutsam den persönlichen Blick des Künstlers wiedergeben. Viele seiner Projekte kreisen um seine eigene Geschichte: Johne wuchs in der DDR auf, hinter dem Eisernen Vorhang. Sowohl sein leiblicher Vater als auch sein Stiefvater waren Offiziere, letzterer sogar Kompaniechef einer Grenztruppeneinheit.

 

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Sven Johne, Heilpflanzen im Todesstreifen / Medicinal Plants in the Death Strip, Germany (Detail), 2021, 25 Tintenstrahldrucke auf Fine Art Paper, Gesamtmaße 60 × 1000 cm, je 60 × 40 cm, Courtesy Galerie Nagel Draxler, Berlin/Köln; KLEMM’S, Berlin © Sven Johne / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Johnes neue Fotocollage basiert auf einer Wanderung entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Gemeinsam mit seinen Kindern und deren Freund:innen lief er die 1400 Kilometer lange Strecke, auf die er selbst einst als systemkonform erzogenes Kind mit Ehrfurcht blickte, etappenweise von Süd nach Nord ab. Die Narben des Todesstreifens sind noch nicht verheilt. Johnes Kinder, die den „Arbeitsplatz“ ihres Großvaters verstehen wollten, tollen zwischen Gedenkstätten und noch sichtbaren Überresten herum. Mit seinen Fotos der Kinder und der 25 Heilpflanzen verschränkt Johne Zeiten und Generationen. „Ich wollte diesen Moment der Irritation. Wachtürme, Zäune und der Kolonnenweg, auf dem früher Soldat:innen patrouillierten, in historischem Schwarz-Weiß, ebenso wie die spielenden Kinder. Die Blumen sind bunt und ziehen Blicke an. Was damals war und was heute ist, erschließt sich nicht sofort.“ Zudem stellte sich beim Spaziergang ein schmerzhaftes Gefühl ein: Nicht weit von hier werden zwischen Polen und Belarus wieder Zäune hochgezogen. Genau um diese Widersprüche geht es: Heilung und Verwundung, Freiheit der Globalisierung und Renaissance der Grenzen. Die Arbeit steht nicht nur für Johnes eigene Familie, sondern für ein globales Bild, in dem Systemzwänge weiterhin Menschen formen.

Gesine Borcherdt

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Sven Johne, Heilpflanzen im Todesstreifen / Medicinal Plants in the Death Strip, Germany, 2021, © Sven Johne / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Hanseatenweg, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Ausstellungen

Why Can’t We Live Together – Collection Peters-Messer in Marburg, 2022, Marburger Kunstverein, Marburg (DE)

Mixed Feelings, 2022, G2 Kunsthalle, Leipzig (DE)

East German Landscapes, 2021, Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg, Magdeburg (DE) (solo)

Camera Austria International: Laboratory for Photography and Theory, 2018, Museum der Moderne Salzburg – Mönchsberg, Salzburg (AT)

Dear Vladimir Putin / I am the Power, 2018, Klemm’s, Berlin (DE) (solo)

Natural Histories. Traces of the Political, 2017, mumok – Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Wien (AT)