Sammy Baloji lebt und arbeitet in Brüssel, BE, und Lubumbashi, CD

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Sammy Baloij, … and to those North Sea waves whispering sunken stories (II) [… und zu diesen Nordseewellen, die versunkene Geschichten raunen (II)], 2021, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Hanseatenweg, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges meldeten sich 32 kongolesische Einwanderer in Belgien freiwillig zum Dienst in der belgischen Armee. Unter ihnen war Albert Kudjabo, der im August 1914 gefangen genommen wurde und den Rest des Krieges in einem Gefangenenlager in Münster verbrachte. Dort wurde er gezwungen, an einem Archivprojekt der staatlich finanzierten Königlich Preußischen Phonographischen Kommission mitzuwirken, die akustische Aufnahmen von afrikanischen Kriegsgefangenen machte. Eine Aufnahme, in der man Kudjabo trommeln und singen hört, ist Teil von Sammy Balojis Installation …and to those North Sea waves whispering sunken stories (II) [… und zu diesen Nordseewellen, die versunkene Geschichten raunen (II), 2021] und wird im Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin aufbewahrt. Kudjabo wird dort nicht namentlich genannt, sondern mit einem rassistischen Begriff bezeichnet, wobei die Brutalität des Krieges und die des kolonialen Archivs aufeinandertreffen.

Die Art und Weise, wie Geschichte konstruiert wird, an was sich erinnert und was ausgelassen wird, zieht sich wie ein roter Faden durch Balojis Arbeit. Der Künstler greift die Geschichte von Ausbeutung und Vertreibung wieder auf, um so die zum Schweigen gebrachten Stimmen endlich zu Wort kommen zu lassen. In dieser Arbeit stellt Baloji eine Parallele zwischen Kudjabos Geschichte und dem Wardschen Kasten her, einem gläsernen Container, in dem Pflanzen auf englischen Schiffen transportiert wurden. Dieser Vorläufer des Gewächshauses markiert den Beginn der Domestizierung von Pflanzen, die Ausbreitung des britischen Imperialismus und den weltweiten Rückgang der Artenvielfalt. Balojis Mini-Gewächshaus spielt auf die kongolesische Vertreibung an: Es beherbergt im Kongo heimische Pflanzen und verweist in Form eines Kristalls auf die im Kongo abgebauten Bodenschätze, die die Vergangenheit und Gegenwart des Landes geprägt haben. Der Titel der Arbeit bezieht sich auf die Überreste des Krieges – Schiffswracks und große Mengen nicht explodierter Munition, die immer noch auf dem Grund der Nordsee zu finden sind. Als Analogie zur Kolonialgeschichte wird ihre Präsenz deutlich, sobald ihre nie aufgelöste Toxizität an die Oberfläche tritt und die Gegenwart beeinflusst.

Heidi Ballet

Ausstellungen

… and to those North Sea waves whispering sunken stories, 2021, In Flanders Fields Museum, Ypres (BE) (solo)

Kochi-Muziris Biennale 2020: In our Veins Flow Ink and Fire, 2020, Kochi (IN)

Notre Monde Brûle, 2020, Palais de Tokyo, Paris (FR)

Sammy Baloji, 2020, Smithsonian National Museum of African Art, Washington, D.C. (US) (solo)

Other Tales, 2020, Lunds konsthall, Lund (SE) (solo)