Mathieu Pernot lebt und arbeitet in Paris, FR

 

Die Gorgans sind eine Rom:nja-Familie, die am Rande von Arles in Südfrankreich lebt. Die Familie ist seit Generationen in der Region zuhause, aber ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen entsprechen weitgehend denen nomadischer Subalterner. Ihre Begegnungen mit den politischen Institutionen der französischen und europäischen Gesellschaft finden hauptsächlich mit der Polizei und im Strafvollzug statt. Da sie keinen Zugang zu den Privilegien der sogenannten normalen Staatsbürger:innenschaft haben, ist ihr Alltag notwendigerweise von einer ständigen Erfindung von Formen gemeinschaftlicher Existenz geprägt.

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Mathieu Pernot, Mickael, Avignon, 2001, aus der Serie Les Gorgan [Die Gorgans], 1995–2015, Fotografie, Maße variabel © Mathieu Pernot / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

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Mathieu Pernot, Mickael, 2012, aus der Serie Les Gorgan [Die Gorgans], 1995–2015, Fotografie, Maße variabel © Mathieu Pernot / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Mathieu Pernot begegnete den Gorgans erstmals Mitte der 1990er-Jahre. Seitdem hat er die Familie regelmäßig besucht und ein umfangreiches fotografisches Werk geschaffen, das ihre Geschichte aufzeichnet und mit ihr im Austausch steht. Der Künstler hat sowohl die Freuden als auch das Unglück der Familie miterlebt: den Tod des ältesten Sohns Rocky, die Inhaftierung von Rockys Bruder Jonathan, die Geburten der neuen Familienmitglieder Ana und Doston. Im Laufe der Jahre scheinen die Gorgans Pernot fast adoptiert zu haben. Seine Familie und die der Gorgans haben nun eine gemeinsame Geschichte: Sie feiern zusammen Geburtstage und trauern gemeinsam um ihre Toten.

Pernots Arbeit mit den Gorgans bewegt sich im Spannungsfeld zwischen sozial engagierter Dokumentarfotografie, partizipativer ethnografischer Fotografie und Film. Es handelt sich um eine Form der sozialen Praxis in dem Sinne, dass die Präsenz des Künstlers als Fotograf und die von ihm produzierten Bilder in das ästhetische Gewebe der sozialen Beziehungen der Familie integriert wurden. So wie die Namen von Familienmitgliedern als Zeichen der Zusammengehörigkeit und Bindung auf ihre Körper tätowiert werden, dienen fotografische Darstellungen oder Ereignisse als Ikonen in Ritualen der Erinnerung oder der Gemeinschaft. Diese Bilder zeigen die Realität eines subalternen Lebens, aber sie sind auch Teil eines intimen und freudigen Schaffensprozesses, der trotz und wider dieser Bedingungen ein „Wir“ in einer gemeinsamen Geschichte hervorbringt.

Kim West

Ausstellungen

La région humaine, 2021, Le bleu du ciel, Lyon (FR)

Cámara y Ciudad, 2020, CaixaForum Palma, Palma (ES)

Confinement: Politics of Space and Bodies, 2019, Contemporary Arts Center, Cincinnati (US)

La santé, 2018, Centquatre-Paris, Paris (FR) (solo)

Les Gorgan, Musée de l’histoire de l’immigration, Paris (FR) und La Filature, Mülhausen (FR)