Etinosa Yvonne lebt und arbeitet in Abuja, NG

Fotografien, die Schrecken und Irrsinn des Krieges dokumentieren, wohnt eine denunziatorische Geste inne – sie dienen als Berichte von Augenzeug:innen und sollen eine heftige instinktive Reaktion auf Kriegsgräuel hervorrufen, gegen die zu protestieren wir aufgerufen sind. Mit offenkundiger moralischer Empörung halten solche Bilder die sichtbaren Verwüstungen des Krieges – von Körpern, Gebäuden, Landschaften – mit einem Höchstmaß an Unmittelbarkeit und Dringlichkeit fest, zeigen den angerichteten Schaden im Moment seiner Entstehung oder kurz danach.

1

Etinosa Yvonne, Hamida, 2020, aus der Serie It’s All In My Head [Es ist alles in meinem Kopf], 2019-20, Fotografie, 41 x 61 cm © Etinosa Yvonne

Doch wie steht es um die psychischen und emotionalen Verletzungen, die noch lange danach andauern und die für das Kameraauge unsichtbar sind? Diese Frage stellte sich die autodidaktische Fotografin und Vorkämpferin für psychische Gesundheit Etinosa Yvonne, als sie begann, Frauen zu interviewen, die durch den bewaffneten Konflikt im ländlichen Nordosten Nigerias zu Opfern und Vertriebenen geworden sind. Die aus diesem Austausch hervorgegangenen Schwarz-Weiß-Porträts zeigen ihre Gesprächspartnerinnen von der Kamera abgewandt, in Gedanken und Erinnerungen versunken, unfähig zu vergessen, während sie sich nach Heilung sehnen. Die ruhigen Antlitze dieser Frauen werden von Bildfragmenten überlagert, die auf ihre Gedanken verweisen – das Plastikspielzeug eines Kindes, das seiner Mutter etwas Trost gibt, eine zerbrochene Vase, die für die geplatzten Träume der Kindheit steht, ein Tor zwischen geistiger Freiheit und Gefangenschaft, das einen Spalt breit offensteht.

2

Etinosa Yvonne, Fotografien aus der Serie It’s All In My Head [Es ist alles in meinem Kopf], 2019-20, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 11.6.–18.9.2022, Foto: Silke Briel

Diesen Bildern sind handschriftlich verfasste Zeugnisse über Zwangsverheiratung, körperliche Misshandlung, Entführung und Vergewaltigung zur Seite gestellt. Sie legen die Allgegenwärtigkeit geschlechtsspezifischer Gewalt während des Krieges offen. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist seit langem als vorsätzlich angewandte Militärstrategie bekannt – zur Bestrafung und Destabilisierung des Feindes, aber auch zur Belohnung der Sieger. Yvonnes Fotoinstallation weist jedoch gerade darauf hin, dass der Missbrauch von Frauen auch ein unvermeidliches Resultat von Konflikten ist, die zwischen Männern um Territorium, natürliche Ressourcen, Identität und Religion ausgetragen werden – um die eigentlichen Grundlagen des Patriarchats. In ihrem Buch Das Leiden anderer betrachten (2003) fasst Susan Sontag den pazifistisch-feministischen Essay von Virginia Woolf Drei Guineen aus dem Jahr 1938 zusammen, um einen Punkt zu bekräftigen, der „so offenkundig oder so unangebracht zu sein schien, dass man ihn keiner Erwähnung (…) für wert hielt: (…) dass der Krieg Männersache ist – dass die Kriegsmaschinerie ein Geschlecht hat und dass sie männlich ist.“

Michele Faguet

Ausstellungen

Follow The River, Follow The Thread, 2022, Open Eye Gallery, Liverpool (UK)

It’s All In My Head, 2021, ART X Lagos, Lagos (NG) und Full Circle Photography Gallery, Maryland (US) (solo)

Through the lens of, 2021, Afrika Museum, Berg en Dal (NL)

LUMIX Festival for Young Visual Journalism, 2020, Hannover (DE)

In Conversation: Visual Meditations on Black Masculinity, 2020, African American Museum in Philadelphia, Philadelphia (US)