Elske Rosenfeld lebt und arbeitet in Berlin, DE

Mit einer Revolution brachten die Menschen in der DDR im Herbst 1989 das SED-Regime und die Mauer zu Fall. Viele der daran Beteiligten hofften auf einen reformierten Staat und praktizierten radikale demokratische Formen, die sich außerhalb des westlichen Demokratiebegriffs bewegten. Am Runden Tisch legten sie einen Verfassungsentwurf vor. „Gründend auf der revolutionären Erneuerung,“ schrieb Christa Wolf in der Präambel, solle ein „demokratisches und solidarisches Gemeinschaftswesen“ entstehen. Doch auf anderen Tischen lagen die Pläne über den Beitritt zur BRD schon bereit. Bei den einzigen freien Wahlen der DDR wurde er mit dem Sieg der vom Westen unterstützten konservativen Parteien besiegelt. Es folgten Ausverkauf, Identitätsverlust und die Radikalisierung der Rechten.

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Elske Rosenfeld, Speaking (Statements for the Future) [Sprechen (Statements für die Zukunft)], 2019/22 aus der Serie An Archive of Gestures [Archiv der Gesten], 2012–22, © Elske Rosenfeld / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Installationsansicht, 12. Berlin Biennale, Akademie der Künste, Pariser Platz, 11.6.–18.9.2022, Foto: dotgain.info

Elske Rosenfeld erlebte die Revolution als 15-Jährige. Mit dem Narrativ von der „Vereinigung“ beider deutscher Staaten sei der Aufbruchswille von 1989/90 domestiziert worden, sagt sie. Für diese Erfahrung fehle bis heute eine adäquate Sprache. An die Leerstelle tritt in ihren Erkundungen von Dokumenten, Archiven und Körpern, die sie ebenfalls als Archiv begreift, ein performatives Vokabular. Sie spult eine am Runden Tisch aufgenommene Szene vor und zurück, um einen Moment zu rekonstruieren, in dem die Stimmen Demonstrierender draußen die Verhandlungen drinnen unterbrechen. Sie spricht Manifeste und anderen Texte nach, die 1989/90 von politischen Gruppen und Arbeiter:innenkollektiven verfasst wurden. Ihre Erkundungen überträgt Rosenfeld auch auf jüngere Revolutionen: Sie filmt ein Foto des Protests des „stehenden Mannes“, Erdem Gündüz, im Istanbuler Gezi-Park mit der Handykamera ab, bis ihre Hand zu zittern anfängt, und umkreist filmend in Endlosschleife ein Lager verbleibender Demonstrant:innen am Tahrir-Platz in Kairo. In der Zusammenschau dieser Arbeiten im Archive of Gestures [Archiv der Gesten, 2012–22] macht Rosenfeld die Erfahrung uneingelöster emanzipatorischer Projekte translokal und transhistorisch lesbar. Das Spulen, Wiederaufführen, (Aus-)Halten, Umfahren wird zur widerständigen Geste, zum Auflehnen gegen die Ohnmacht angesichts des Überschreibens der eigenen Geschichte.

Sabine Weier

Ausstellungen

1 Million Roses for Angela Davis, 2020, Kunsthalle im Lipsisbau, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden (DE)

Leninskiy 95, 2020, Goethe-Institut Moskau, Moskau (RU)

Palast der Republik: Kunst, Diskurs & Parlament, 2019, Haus der Berliner Festspiele, Berlin (DE)

Zerrissene Gesellschaft, 2018, f/stop – Festival für Fotografie Leipzig, Leipzig (DE)

Herbstsalon III, 2017, Maxim Gorki Theater, Berlin (DE)