Clément Cogitore lebt und arbeitet in Paris, FR, und Berlin, DE

Die beiden hier vorgestellten Filmarbeiten von Clément Cogitore scheinen auf den ersten Blick buchstäblich Welten zu trennen. In Lascaux (2017) legt der Künstler Aufnahmen von Schmetterlingen über 16-mm-Filmmaterial aus den 1980er-Jahren, auf dem prähistorische Malereien aus der gleichnamigen Höhle zu sehen sind. Die Projektion ohne Ton mutet lyrisch, wenn nicht gar poetisch an. Les Indes Galantes [Das galante Indien, 2017] eröffnet den Blick auf eine völlig andere Welt. Das Video zeigt Dutzende Tänzer:innen verschiedener Hautfarbe auf einer spärlich beleuchteten Bühne beim Krumping. Sie performen zur Musik des Barockkomponisten Jean-Philippe Rameau, dessen titelgebende Ballettoper von 1735 Darsteller:innen afrikanischer Herkunft zum ersten Mal auf französische Bühnen brachte.

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Clément Cogitore, Les Indes Galantes [Das galante Indien], 2017, HD-Video, Farbe, Ton, 5′26′′, Choreografie: Bintou Dembélé, Brahim Rachiki, Igor Caruge, Courtesy Chantal Crousel Consulting; Galerie Reinhard Hauff, Stuttgart © Clément Cogitore / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Ungeachtet ihrer unterschiedlichen historischen und klanglichen Bezüge untersuchen und unterlaufen beide Werke subtil grundlegende französische Vorstellungen von Natur und „Primitivität“, die durch den kolonialen Handel und interkulturelle Begegnungen geprägt wurden, sei es durch Funde im eigenen Land oder „Entdeckungen“ in der Ferne. Cogitores Arbeiten erinnern dabei an die geltende Logik hinter den neuartigen Bildgestaltungsmethoden der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts und interpretieren sie neu. So schreibt der afroamerikanische Videokünstler Arthur Jafa 2003: „Der Surrealismus lässt sich als eine Auseinandersetzung mit der psychischen Erschütterung verstehen, die durch die Gegenüberstellung inkongruenter Objekte (eine Kuh und ein Bügelbrett) hervorgerufen wird. ‚Der schwarze Körper im weißen Raum‘ ist ein Paradebeispiel dafür.“(1) Beide Videos greifen diese Dynamik in der Gegenwart wieder auf. Les Indes Galantes stellt eine Verbindung zwischen den Logiken der Dissonanz von Hautfarbe und Raum her und Lascaux zwischen der Distanz von Zeit und Technologie. Vorstellungen, die nach wie vor die grundsätzlich spaltende Einstellung des modernen Westens in Bezug auf Gruppen, Andere, Ästhetik und vor allem das Menschliche bestimmen.

Huey Copeland

Hinweis: Die an der Arbeit Les indes galantes (2017) beteiligten Choreograf:innen sind: Bintou Dembélé, Brahim Rachiki, Igor Caruge. Bis zum 30.06.2022 fehlte diese Information in unseren Werkangaben. Im Guidebook sind die Angaben daher falsch abgedruckt. Das Label wurde inzwischen korrigiert. Wir bedauern diesen Vorfall sehr.

(1) Arthur Jafa, „My Black Death“, in Greg Tate (Hg.), Everything but the Burden: What White People Are Taking from Black Culture, New York 2003, S. 247.

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Clément Cogitore, Les Indes Galantes [Das galante Indien], 2017, HD-Video, Farbe, Ton, 5′26′′, Choreografie: Bintou Dembélé, Brahim Rachiki, Igor Caruge, Courtesy Chantal Crousel Consulting; Galerie Reinhard Hauff, Stuttgart © Clément Cogitore / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Ausstellungen

Notturni, 2022, MACRO – Museum of Contemporary Art of Rome, Rom (IT) und Mattatoio di Roma, Rom (IT) (solo)

Crossing Views, in dialogue with Cindy Sherman, 2020, Fondation Louis Vuitton, Paris (FR)

Clément Cogitore (Part I & II), 2019, Kunsthaus Baselland, Basel (CH) (solo)

Les Indes Galantes, 2018, Tabakalera – International Centre for Contemporary Culture, Donostia-San Sebastián (ES) (solo)

L’intervalle de résonance, 2016, Palais de Tokyo, Paris (FR) (solo)